Es war schon dunkel, als wir Jiufen ankamen. Eine Reisegruppe überquerte die Straße und hielt den Verkehr auf. Bei dem Trubel war mir sofort klar: Wir müssen am Ziel sein. Jiufen ist an diesem Abend nicht nur der Ort, an dem wir eine Pension gebucht haben, um die Nacht zu verbringen, sondern auch das Ausflugsziel unzähliger Asiaten, bei denen der Bergort im Norden Taiwans auf der Bucket List steht.
Wir suchen zunächst unsere Pension auf, das Sunshine B&B. Beim Betreten des Gebäudes werden wir höflich aber bestimmt darauf hingewiesen, dass hier Hausschuhe zu tragen sind. Also, Schuhe aus, Pantoffeln an und ab mit dem Gepäck aufs Zimmer. Die Gastgeber sind sehr freundlich; erklären uns gleich die Sehenswürdigkeiten in Jiufen. Die Gutherzigkeit tröstet auch ein bisschen über das etwas zu klein geratene Zimmer hinweg.
Es ist schon eine Stunde dunkel draußen und die Hausherrin macht uns darauf aufmerksam, dass die Geschäfte und Restaurants zwischen 19.00 und 20.00 Uhr schließen. Wir sollten uns besser jetzt zur beliebten Jiufen Old Street begeben, bevor alles geschlossen hat.
Juifen Old Street
Wer sich unter der der Jiufen Old Street eine idyllische Altstadtgasse vorstellt, täuscht sich. Ja, die Gassen sind schmal und die roten Laternen schaffen eine wohlige Atmosphäre. Allerdings schieben sich Scharen an Touristen durch Juifen Old Street. Die Menschenmenge drängt sich vorbei an den Geschäften, die lokale oder landestypische Gerichte servieren oder Souvenirs verkaufen. Kaum kommt man dazu innezuhalten und die Cafés, Tee- und Souvenirläden genauer zu erkunden.
Plötzlich vernehmen wir eine Melodie, die uns den ganzen Abend über begleiten wird. Offensichtlich kommt sie von einem Müllauto, das die Bewohner und Ladenbesitzer von Jiufen darauf aufmerksam macht, dass jetzt der Müll eingesammelt wird.
Mit der Müllabfuhr mittendrin wird es noch enger auf der Gasse. Gleichzeitig hat das Schauspiel etwas humoristisches: Die Touristen springen beiseite, die Einheimischen rennen flugs auf die Straße und übergeben brav ihren Abfall an die Männer, die auf der Rampe des Müllwagens stehen. Herrlich!
Snacks und Speisen auf der Juifen Old Street
Jetzt verspüren wir die Lust auch etwas von den angebotenen Snacks zu probieren. Wir teilen uns eine Blätterteigtasche, die mit Süßkartoffelkuchen (Sweet Potato Cake) gefüllt ist. Die Füllung ist cremig und ähnelt von der Konsistenz einem Pudding. Schmeckt aber gut!
Ein Reinfall hingegen ist die taiwanesische Bratwurst. Als wir uns in die Schlange einreihen, ahnen wir nicht, wie die Bratwurst schmecken könnte, die gerade von einer Angestellten ganz akkurat auf einen Spieß gesteckt wird. Beim ersten Biss ist die Enttäuschung groß. Das Fleisch ist kaum gewürzt, dafür ist die Hülle leicht karamellisiert. Nach zwei weiteren Bissen sortieren wir die Bratwurst als Fehlgriff ein und suchen einen Ort, um die Wurst zu entsorgen.
Um doch noch herzhaft zu essen, entscheiden wir uns für ein Restaurant, in dem Dim Sum angeboten werden. Dazu bestellen wir Wasserspinat und zwei Taiwan Beer. Unser Appetit ist noch immer nicht ganz gestillt und so entscheiden wir uns noch für einen letzten Snack auf der Juifen Old Street.
Wir probieren eine Schale Taro Balls. Die Tarokugeln entstehen durch Mischen von püriertem Taro, hierzulande auch bekannt als Wasserbrotwurzel, mit Wasser und Süßkartoffelmehl. Das Taro verleiht den Bällchen ihre violette bis graue Farbe. Bei den gelben und grünen Kugeln wurde der Taro durch zerdrückte Süßkartoffel oder gemahlenen Mungobohnen ersetzt. Die Taro Balls können entweder kalt oder warm verzehrt werden und schwimmen in einer Brühe, die mit roten Bohnen angereichert ist.
Kulinarisch hält die Juifen Old Street noch viele weitere Highlights bereit – man muss nur den Mut haben, die Gerichte zu probieren. Nach und nach lassen die Händler ihre Rollläden nach unten. Mit dem Geschäftsschluss verschwinden auch die Touristen und Juifen verwandelt sich in das romantische Bergdorf, das es einst war.
Jiufen und der Tourismus
Zwangsläufig stellt man sich die Frage, wie Jiufen eigentlich zu seinem Tourismus kam.
Dazu muss man auf die Geschichte Jioufens zurückblicken: Diese kleine Stadt lebte relativ isoliert. Dass änderte sich im Jahr 1893, während der japanischen Besetzung, als in der Stadt Gold gefunden wurde. Im Goldrausch entwickelte sich Jiufen schnell. Der japanische Einfluss und die Architektur sind heute noch sichtbar. Im zweiten Weltkrieg beherbergte die Stadt ein Kriegsgefangenenlager. Gefangene Alliierte wurden gezwungen, in Jiufens Goldminen zu arbeiten. Nach dem Krieg gingen die Goldminenaktivitäten zurück.
Geblieben ist ein Museum, das Jiufen Gold Mine Museum. Interessierte können dort gegen NT$ 100,00 Eintritt nicht nur mehr über die Geschichte der Stadt erfahren, sondern auch einen 2.000 Kilogramm schweren Goldbarren anfassen.
Der Tourismus-Boom begann zu Beginn der 90er Jahre. Schuld daran ist das Medienechos des 1989 veröffentlichten Films “A City of Sadness”. Das historische Drama wurde in Jiufen gedreht und behandelt den politischen Konflikt von der Befreiung der Insel unter japanischer Herrschaft in 1945 bis zur kommunistischen Übernahme Chinas in 1949. Zwischen den zugewanderten Festlandchinesen und den alteingesessenen Taiwanern kam es nach der Übernahme Chinas zu Spannungen. Dabei spricht der Film ein Tabuthema an: Den Zwischenfall des 28. Februars 1947, bei dem zwischen 10.000 und 30.000 Zivilisten durch das chinesische Militär getötet wurden.
Bei Animie-Geeks ist Jiufen deswegen beliebt, weil der Ort einem Gerücht zufolge Modell für den Handlungsort des Zeichentrickfilms “Chihiros Reise ins Zauberland” (Spirited Away) gestanden haben soll. Nach Angaben des Regisseurs ist das zwar falsch, trotzdem finden sich in Jiufen zahlreiche Souvenirartikel rund um den Film.
Jiufen bei Nacht
Wenn die Touristen weg sind, wird Jiufen zu einem beschaulichen Bergort. Wir nutzen den späten Abend, um noch einmal durch das Örtchen zu laufen und den Tag ausklingen zu lassen. Am nächsten Tag geht die Reise weiter in Richtung Taroko National Park.