Wenn der Zug verspätet ist: Diese Rechte haben Reisende

Zugverspätungen und -ausfälle sind ärgerlich, aber leider keine Seltenheit. Doch welche Rechte haben Bahnreisende in solchen Fällen? Dieser Blogbeitrag gibt einen umfassenden Überblick über die Fahrgastrechte bei Zugverspätungen und wie man sie geltend macht.

Rechtsgrundlage: Die EU-Fahrgastrechteverordnung und Eisenbahnverkehrs-Verordnung (EVO)

Die Rechte von Bahnreisenden sind in der EU-Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr geregelt. Diese gilt für alle Bahnreisen innerhalb der EU, egal ob Fern- oder Nahverkehr. Zum 7. Juni 2023 ist eine Neufassung der Verordnung in Kraft getreten, die einige Änderungen mit sich bringt. Zusätzlich regelt die Eisenbahnverkehrs-Verordnung (EVO) die Rechte deutscher Eisenbahnunternehmen.

Ansprüche bei absehbarer Verspätung ab 60 Minuten

Wird bereits bei der Abfahrt mitgeteilt, dass der Zug voraussichtlich 60 Minuten oder mehr verspätet am Zielbahnhof ankommen wird, haben Reisende folgende Wahlmöglichkeiten:

  • Erstattung des vollen Fahrpreises und ggf. kostenlose Rückfahrt zum Startbahnhof, wenn die Reise nach den ursprünglichen Plänen sinnlos geworden ist
  • Weiterfahrt oder Umleitung bei nächster Gelegenheit unter vergleichbaren Bedingungen
  • Weiterfahrt oder Umleitung zu einem späteren Zeitpunkt nach Wahl des Fahrgastes

Zusätzlich besteht ein Anspruch auf Hilfeleistungen wie Mahlzeiten, Erfrischungen und falls nötig eine Hotelübernachtung inklusive Transfer.

Entschädigungen je nach Verspätungsdauer

Entscheiden sich Reisende trotz Verspätung zur Weiterfahrt, haben sie Anspruch auf eine Entschädigung in Abhängigkeit von der Verspätung bei Ankunft am Zielort:

  • 25% des Fahrpreises bei 60 bis 119 Minuten Verspätung
  • 50% des Fahrpreises ab 120 Minuten Verspätung

Für Inhaber von Zeitkarten wie Monats- oder Jahresabos gelten Pauschalbeträge pro Verspätung. Die Entschädigung kann als Auszahlung verlangt werden, ein Verweis auf Gutscheine ist unzulässig.

Ausnahmen: Außergewöhnliche Umstände und Drittverursachung

Wichtig: Seit Juni 2023 müssen Bahnunternehmen in bestimmten Fällen keine Entschädigung mehr zahlen:

  • Bei außergewöhnlichen Umständen wie extremem Wetter oder Naturkatastrophen, die trotz Sorgfalt nicht vermeidbar waren
  • Wenn die Verspätung durch Dritte verursacht wurde, z.B. durch Personen im Gleis, Kabeldiebstahl, Notfälle an Bord des Zuges, Strafverfolgungsmaßnahmen, Sabotage oder Terrorismus
  • Bei Verschulden des Fahrgastes selbst

Streiks des Bahnpersonals zählen jedoch nicht als außergewöhnliche Umstände, hier bleibt der Entschädigungsanspruch bestehen.

Rechte im Nahverkehr

Im innerdeutschen Nahverkehr haben Reisende teils noch weitergehende Rechte:

  • Ab absehbarer Verspätung von 20 Minuten: Nutzung anderer, auch höherwertiger Züge ohne Aufpreis möglich
  • Bei erwarteter Verspätung von mindestens 60 Minuten in der Nacht (Ankunft 0-5 Uhr): Bahn übernimmt Taxikosten bis 80 €

Geltendmachung von Ansprüchen

Um Entschädigungen und Erstattungen zu erhalten, müssen Reisende aktiv werden. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten:

  • Online-Formular im Kundenkonto auf bahn.de ausfüllen
  • Fahrgastrechte-Formular herunterladen, ausfüllen und per Post schicken
  • Persönlich im DB Reisezentrum Erstattung bei Reiseabbruch beantragen

Hilfreich ist eine Bestätigung der Verspätung durch DB-Personal oder ein Foto der Anzeigetafel. Reagiert das Bahnunternehmen nicht zufriedenstellend, kann man sich an die Schlichtungsstelle oder das Eisenbahn-Bundesamt wenden.

Fazit

Dank der EU-Verordnung haben Bahnreisende umfassende Rechte bei Zugverspätungen und -ausfällen. Je nach Situation reichen diese von der Erstattung des Fahrpreises über Entschädigungszahlungen bis hin zu Hilfeleistungen vor Ort. Zögern Sie nicht, Ihre Ansprüche geltend zu machen – auch wenn das Bahnunternehmen nicht immer kooperativ ist. Mit den richtigen Informationen im Gepäck kommen Sie am Ende zu Ihrem Recht.

Fragen & Antworten

Kann ich einfach einen anderen Zug nehmen, wenn mein Zug verspätet ist?

Ja, im Nahverkehr dürfen Sie einen anderen Zug nutzen, wenn abzusehen ist, dass Sie sonst mindestens 20 Minuten verspätet an Ihrem Zielort ankommen (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 Eisenbahnverkehrs-Verordnung, EVO). Dies gilt auch für höherwertige Züge, sofern keine Reservierungspflicht besteht oder es sich nicht um eine Sonderfahrt handelt. Im Fernverkehr können Sie bei einer voraussichtlichen Verspätung von mindestens 60 Minuten einen anderen Zug nutzen oder Ihre Reise stornieren.

Bekomme ich auch eine Entschädigung bei höherer Gewalt?

Nein, bei außergewöhnlichen Umständen wie extremen Wetterbedingungen, großen Naturkatastrophen oder schweren Gesundheitskrisen ist die Bahn nicht verpflichtet, eine Entschädigung zu zahlen (Artikel 19 Absatz 10). Die Bahn muss jedoch nachweisen, dass sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Verspätung zu verhindern.

Werden meine Rechte bei einem Streik eingeschränkt?

Nein, Sie haben auch bei Streiks des Bahnpersonals Anspruch auf Entschädigung und alternative Beförderung. Streiks des Bahnpersonals gelten nicht als außergewöhnlicher Umstand und fallen nicht unter die Entschädigungsausnahmen (Artikel 19 Absatz 10).

Kann ich bei Verspätung ein Taxi nehmen und die Kosten erstattet bekommen?

Unter bestimmten Bedingungen ja. Wenn Ihre planmäßige Ankunftszeit zwischen 0:00 Uhr und 5:00 Uhr liegt und abzusehen ist, dass Sie sonst mindestens 60 Minuten verspätet ankommen, können Sie ein alternatives Verkehrsmittel (z.B. Taxi) nutzen (§ 11 Abs. 1 Nr. 2a EVO). Ebenso ist dies möglich, wenn es sich um die letzte fahrplanmäßige Verbindung des Tages handelt und Sie Ihren Zielort ohne das andere Verkehrsmittel nicht mehr bis 24:00 Uhr erreichen können (§ 11 Abs. 1 Nr. 2b EVO). Sie können die Kosten bis zu einem Höchstbetrag von 120 Euro vom Eisenbahnunternehmen ersetzt bekommen (§ 11 Abs. 2 EVO).

Wie hoch ist die Entschädigung bei Verspätungen?

Gemäß Artikel 19 der Verordnung (EU) 2021/782 beträgt die Entschädigung bei einer Verspätung ab 60 Minuten mindestens 25% des Fahrpreises und ab 120 Minuten mindestens 50% des Fahrpreises. Dieser Anspruch besteht, wenn Sie eine Verspätung zwischen Abfahrts- und Zielort erleiden und keine Fahrpreiserstattung nach Artikel 18 erfolgt ist.

Kann ich meine Fahrkarte stornieren, wenn mein Zug mehr als 60 Minuten verspätet ist?

Ja, bei einer voraussichtlichen Verspätung von mindestens 60 Minuten haben Sie das Recht, von der Reise zurückzutreten und eine Erstattung des vollen Fahrpreises zu verlangen (Artikel 18 Abs. 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2021/782). Dies gilt für den nicht zurückgelegten Teil der Reise und für bereits durchgeführte Teile, wenn die Reise zwecklos geworden ist.

Werden die Kosten für Verpflegung und Unterkunft bei Verspätungen übernommen?

Ja, wenn die Verspätung bei Abfahrt oder Ankunft mindestens 60 Minuten beträgt oder ein Zugausfall vorliegt, haben Sie Anspruch auf kostenlose Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit (Artikel 20 Abs. 2 der Verordnung (EU) 2021/782). Bei einem notwendigen Aufenthalt von einer oder mehreren Nächten muss Ihnen das Eisenbahnunternehmen eine Hotelunterkunft und den Transport zwischen Bahnhof und Unterkunft anbieten, sofern dies praktisch durchführbar ist.

Bekomme ich auch eine Entschädigung bei höherer Gewalt?

Nein, bei Verspätungen infolge außergewöhnlicher Umstände außerhalb des Eisenbahnbetriebs, die das Eisenbahnunternehmen nicht vermeiden konnte, besteht kein Anspruch auf Entschädigung (Artikel 19 Abs. 10 der Verordnung (EU) 2021/782). Dazu zählen beispielsweise extreme Witterungsbedingungen, große Naturkatastrophen oder schwere Gesundheitskrisen. Streiks des Bahnpersonals gelten jedoch nicht als solcher Umstand; hier besteht weiterhin ein Anspruch auf Entschädigung.

Was passiert, wenn ich meinen Anschlusszug aufgrund einer Verspätung verpasse?

Wenn Sie Ihren Anschlusszug verpassen, haben Sie Anspruch auf Weiterreise unter vergleichbaren Bedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder zu einem späteren Zeitpunkt Ihrer Wahl (Artikel 18 Abs. 1 Buchstaben b und c der Verordnung (EU) 2021/782). Das Eisenbahnunternehmen muss Ihnen eine alternative Beförderung anbieten, ohne zusätzliche Kosten für Sie.

Wie lange habe ich Zeit, eine Entschädigung zu beantragen?

Die Verordnung (EU) 2021/782 legt keine spezifische Frist fest. Allerdings sollten Sie Ihren Anspruch so bald wie möglich geltend machen. In Deutschland müssen Ansprüche aus dem Beförderungsvertrag innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden (§ 10 Abs. 2 EVO). Es ist daher ratsam, Ihren Antrag zeitnah nach dem Vorfall zu stellen.

Wie beantrage ich eine Erstattung oder Entschädigung?

Sie können Ihre Ansprüche direkt beim Eisenbahnunternehmen geltend machen, mit dem Sie den Beförderungsvertrag geschlossen haben. Dies kann schriftlich, online oder persönlich erfolgen. Stellen Sie sicher, dass Sie alle notwendigen Unterlagen wie Fahrkarten und Verspätungsbestätigungen beifügen. Das Eisenbahnunternehmen muss Ihnen innerhalb eines Monats antworten und die Entschädigung zahlen (Artikel 19 Abs. 7 der Verordnung (EU) 2021/782).

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